*Sturm im Wasserglas

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Zwischen Dichtung und Wahrheit: Probleme mit der Demokratie

von Alfred Dagenbach*
Daß einige sich Demokraten nennende Zeitgenossen selbst ihre Probleme mit der Demokratie haben, zeigt sich spätestens, wenn ihre Einstellung zu Klarheit und Wahrheit auf den Prüfstand kommt.
Sie predigen Toleranz und Weltoffenheit, wollen sich gegen Rassismus, Ausgrenzung und noch mehr wichtig machen und finden sich dann ganz schnell in den Grenzen wieder, auch bei Andersdenkenden dieselben Maßstäbe anzulegen, wie bei sich selbst.

Getrieben von der Angst, warme Sesselchen und damit den Platz an der Sonne der bestversorgten Volksvertreter mit opulentem Lebensunterhalt zu verlieren, lassen obskure Bündnisse gegen ungeliebte Konkurrenten zusammenwachsen.
Dazu werden dann besonders zu Wahlkampfzwecken nicht nur Selbstverständlichkeiten zu Resolutionen erhoben, die jeder mit halbwegs normalem Menschenverstand unterschreiben kann, aber nur jene Auserwählte für sich reklamieren wollen, die entgegen ihrer eigens vorgetragenen Wertvorstellung sich damit in Ausgrenzung Anderer üben.
Soweit das intolerante Gebaren – was für viele den gegenteiligen Effekt auslöst – zwar unverständlich, aber in Kenntnis ihrer Paladine nicht überrascht, wird es dann noch weniger akzeptabel, wenn unter Verletzung der Neutralitätspflicht mit Steuergeldern Einfluß auf die öffentliche Meinung genommen wird.
Das gilt insbesondere, wenn dabei auch Halbwahrheiten und gezielt ausgesuchte, die ganzen Zusammenhänge ausgrenzende Darstellungen zum Tragen kommen, die ein möglichst negatives Bild über die ins Visier genommenen Delinquenten abbilden sollen.

So befand sich im Rahmen einer vorgeblich gegen Alltagsrassismus aufgebauten Ausstellung in der Volkshochschule auch eine Broschüre über die „extreme Rechte in der Region Heilbronn„.
Als (Co?)Autor zeichnet dabei in dem von zahlreichen Institutionen und Ministerien getragenen Pamphlet ein Sven Ullenbruch.
Der (selbsternannte?) Experte wird darin als ein seit Jahren zur extremen Rechten recherchierender und als „Sachverständiger des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag und des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag“ ausgewiesen.
Bekannt ist seine Nähe zu linksextremistischen Kreisen, bei denen er in Veranstaltungen auch auftritt.
Dementsprechend zieht sich auch die Sichtweise zum Zeitgeschehen wie ein roter Faden durch die gesamte Broschüre, bei der insgesamt der Eindruck nicht abzuweisen ist, daß es um eine völlig überzogene Darstellung einer imaginärer Gefahrenlage durch ein rechtes Lager in Heilbronn gehen soll.
So erfindet er einen „REP-Stadtverband“, den es nie gegeben hat.
Alles, was der linken Szene suspekt ist, wird zueinander in Verbindung gebracht, um ein möglichst düsteres Stimmungsbild zu erzeugen.

Interessant sind natürlich einige Auslegungen von Vorgängen, zu denen man bislang in dieser Weise wenig zu hören bekam.
So soll ein Mitglied der „Freiheitlichen Initiative Heilbronn“ namens D.Z. ein Urgestein der Heilbronner Neonazi-Szene gewesen sein und im November 2007 „an den Heilbronner Oberbürgermeister, zwei örtliche Pfarrer und die Heilbronner Staatsanwaltschaft eine Schrift des Holocaustleugners Germar Rudolf“ versandt und sich dann selbst angezeigt haben etc.pp. (sic!).
Nach einer Freiheitsstrafe wegen Volksverhetzung soll 2010 das Heilbronner Landgericht die Berufung verworfen haben, während mit Beschluss vom 11. Mai 2011 das Oberlandesgericht Stuttgart die Urteile aufgehoben und ihn freigesprochen habe.
Man muß sich schon fragen, wem ein so dargestelltes Verhalten des D.Z. mit einem solchen Ergebnis schließlich von Nutzen sein sollte.
Manche solcher Vorgänge sind schon als seltsame Persilscheine in die Geschichte eingegangen.
Hier war bislang nur bekannt, daß der damalige Heilbronner Oberbürgermeister die Anzeige erstattet haben sollte …

Unter die Lupe genommen wird auch die Bürgerbewegung PRO Heilbronn.
Insbesondere deren Vorsitzenden und langjährigen Stadtrat Alfred Dagenbach hat es ihm angetan:

Er grenze „sich immer wieder gegen extrem rechte Gruppen ab und ist mit Teilen der Szene seit Mitte der 1990er Jahre verfeindet. …
Als sich D. im Februar 2011 einer Resolution des Gemeinderates gegen die bevorstehende Neonazidemonstration am 1. Mai anschloss, erntete er Spott von den Organisatoren des Aufmarsches: »Herr [D.] stellt sich damit auf die Seite von Interessensgruppen, welche Überfremdung, die Invasion von Fremdarbeitern und Islamisierung befürworten […]
»Pro Heilbronn« hingegen betont stets, man komme »aus dem bürgerlichen Lager« und verstehe sich im Gegensatz zu nationalistischen Rechten als »Patrioten«.“
PRO Heilbronn sehe sich „als »Garant gegen Filz und Schlamperei« und wende sich mit zahlreichen Anfragen zu Themen der städtischen Infrastruktur an die Stadtverwaltung. Dabei geht es z. B. um Lärmbelästigung, leerstehende Wohnungen, Umgehungsstraßen oder Toilettenanlagen.
Sicherheitspolitisch knüpft PRO durchaus an Positionen an, die bereits die »Republikaner« vertreten hatten.
So wird entgegen der Polizeilichen Kriminalstatistik eine »rapide ansteigende Kriminalität« beklagt.
Im selben Atemzug wird die Stationierung eines Einsatzzuges der Bereitschaftspolizei gefordert, um »die auf Grund der Merkel´schen Asylpolitik erhöhte Drogen-, Diebstahl- und Ausländerkriminalität einzudämmen«“
.

Der Experte Ullenbruch möchte sich damit in das medial-politisch geprägte Milieu der politisch motivierten Verharmloser einreihen und nachweisen, daß es PRO Heilbronn mit der Wahrheit nicht so genau nimmt.

Die Fakten:
Ausweislich des zuletzt ausgelegten Berichtes der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2022 nahm in Stadtkreis Heilbronn die Häufigkeitszahl pro 100.000 Einwohner von 5.533 Fällen im Jahr 2021 auf 6.559 im Jahr 2022 und damit um 1.026 oder 18,5% zu.
Beispielsweise erhöhten sich im gleichen Zeitraum die Straftaten gegen

Zwar findet der Experte Ullenbruchsonst kein Haar in der Suppe, meint dann aber, gleichzeitig bekomme „das gemäßigte Selbstverständnis von »Pro Heilbronn« immer wieder Risse.
So referierte am 27. Januar 2010 der radikale Anti-Islam-Blogger Karl Michael Merkle alias »Michael Mannheimer« auf Einladung von »Pro Heilbronn« unter dem Motto »Eurabia – Die Kapitulation Europas vor dem Islam« im Bürgerhaus in Heilbronn-Böckingen.“

Wenn der Experte in anderen Darstellungen mit den Fakten genauso großzügig umgegangen ist, so kann man sein staatspolitisch links motiviertes Pamphlet durchaus in die Kategorie „Verschwendung von Steuergeldern“ einordnen.

Zur Klarstellung:

Merkle hatte sich damals als Michael Mannheimer vorgestellt und war bis dahin kaum bekannt.
Daß er der Sohn eines sehr beliebten Böckinger Pfarrers mit anderem Namen war, stellte sich erst später heraus.
Er hatte selbst um eine Veranstaltung mit ihm gebeten und legte dazu auch bereits bekanntes Wissen um den Islam vor.
Die Veranstaltung wurde von PRO Heilbronn gefilmt und die Polizei war u.a. mit Staatsschutz im Saal vertreten.
Irgendwelche strafbewehrte Aussagen gab es nicht – außerdem wurde Merkle von der Polizei selbst zu einem Vortrag bei ihr eingeladen, der n.u.W. auch stattgefunden hat.
Ob und warum sich Merkle später radikalisiert haben soll, ist uns mangels weiteren Kontakts nicht bekannt.
Soviel zum Versuch, PRO Heilbronn ein anrüchiges Verhalten anzuhängen.

Zur Wichtigkeit wurde von Ullenbruch auch erhoben, daß „K.-H. M. und R. B., die im Mai 2019 bei der Heilbronner Gemeinderatswahl antraten„, an einem Treffen eines „extrem rechten Aktivisten“ teilgenommen haben sollen.
Das wäre zum Einen deshalb interessant, weil dann ja wohl auch zumindest ein Informant des Experten Ullenbruch (oder er selbst?) ebenfalls dort gewesen sein muß und zum Anderen ist noch immer unbekannt, daß sich jemand nicht selbst über oder von einer Sache informieren darf ohne sich dabei einer falschen Verdächtigung aussetzen zu müssen.
Ähnlich obskur ist seine zur Feststellung erhobene unspezifizierte Behauptung, es habe am 7. Februar 2016 auf dem Heilbronner Kiliansplatz eine Versammlung unter dem Motto „Heilbronn wach auf“ gegeben, bei dem es um „den Fall »Lisa«“ ging und dabei hätten sich unter die Demonstrierende auch „Angehörige von »Pro Heilbronn«“ gemischt.

Interessant sind auch die Ausführungen des Experten über die Republikaner und ihre zwei führenden Köpfe:

„Die Ergebnisse der REP bei der Landtagswahl 2016 unterstreichen ihre Bedeutungslosigkeit.
Mit der Annäherung der letzten bekannten ehemaligen REP-Landesfunktionäre Dr. Rolf Schlierer (Stuttgart) und Ulrich Deuschle (Notzingen) an die AfD wird sich dieser Trend weiter fortsetzen.
Der ehemalige REP-Bundesvorsitzende Dr. Rolf Schlierer trat zur Gemeinderatswahl 2019 in Stuttgart auf der Liste der AfD an. Laut einer Pressemitteilung der AfD-Landtagsabgeordneten Dr. Rainer Podeswa und Emil Sänze vom 29. Januar 2019 wurde Schlierer außerdem als Berater des AfD-Fraktionsvorsitzenden Bernd Gögel im Landtag angestellt.
Der REP-Landesvorsitzende Ulrich Deuschle kündigte im November 2018 an, auf der AfD-Liste bei der Kommunalwahl 2019 für den Esslinger Kreistag kandidieren zu wollen. Deuschle trat dann aber doch wieder für die REP an.“

So gut wie nicht in der Öffentlichkeit bekannt wurde das, was der Experte Ullenbruch zur Bundesgartenschau in Heilbronn aus seiner rechten Lieblingsszene – diesmal zur „Identitären Bewegung“ (IB) zum Besten gibt:

„Zuletzt versuchte die IB Schwaben im September 2019, auf der in Heilbronn stattfindenden Bundesgartenschau (Buga) für Aufmerksamkeit zu sorgen.
In einer Ausstellung für Grabdenkmäler brachten die »Identitären« ein Banner und selbst gebastelte Grabschilder an, um die tatsächliche oder vermeintliche Tötung von in ihrem rassistischen Verständnis »Deutschen« durch in Deutschland lebende »Nicht-Deutsche« für ihre Ideologie zu instrumentalisieren.
In einer Erklärung zu der Aktion kritisierten die »Identitären« die Heilbronner Buga: »Mit Sprüchen und Blumenschauen wie ›Offen für Vielfalt‹ und ›Hof für Vielfalt‹ verklärt sie die Folgen der verheerenden Willkommenskultur seit 2015 als Symbol für eine offene und bunte Gesellschaft.
Wir lassen uns nicht einlullen und möchten auch andere aus ihrem Wohlfühlschlaf rütteln – bevor es zu spät ist!«“

Sollte dies zutreffen, so muß man sich schon fragen, wes Geistes Kind diese „Identitäre Bewegung“ eigentlich wirklich ist, denn einen größeren Gefallen konnte sie mit solchen Mätzchen den von ihr angeprangerten angeblichen Kulturzerstörern nicht tun.

Einen breiten Raum nimmt auch die Terrorgruppe des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) ein, die den Ermittlern zufolge hinter dem Mordanschlag auf der Theresienwiese stecken sollte.
Der bis heute ungeklärte Tathergang vom 25. April 2007, als in Heilbronn gegen 14.00 Uhr auf der Theresienwiese zwei Schüsse der 22-jährigen Polizeimeisterin Michèle Kiesewetter und ihrem 24-jährigen Streifenpartner Martin Arnold galten und Michèle Kiesewetter dabei ihr Leben verlor, führt auch bei dem Experten Ullenbruch dazu, damit eine rechte Szene in Heilbronn in Verbindung zu bringen.
So habe man in dem von Beate Zschäpe angezündeten Unterschlupf in Zwickau neben Stadtplänen von Stuttgart und Ludwigsburg Teile eines stark verbrannten, faltbaren Stadtplans von Heilbronn gefunden und „in bundesweiten Adressensammlungen der NSU-Terrorgruppe tauchen Heilbronner Adressen auf, die als mögliche Anschlagsziele in Frage kommen.“
Darunter befinden sich „die Namen von Politiker*innen, Parteibüros, Waffenläden und von türkischen bzw. islamischen Vereinen in der Stadt.
Auch die Staatliche Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in der Heilbronner Austraße ist auf der NSU-Liste vermerkt.“

(Seinerzeit war der Heilbronner Stadtrat und Vorsitzende von PRO Heilbronn, Alfred Dagenbach*, sehr erstaunt, als ihm vom BKA mitgeteilt wurde, daß auch sein Name auf der Liste vermerkt sei)

Der Experte Ullenbruch widmet sich in verschiedensten Angaben über Heilbronner Zusammenhänge mit dem NSU-Komplex in der  bekannten Weise, daß da jemand Jemanden kennt, der wiederum einen kennt, der einen anderen kennt.
Von einem Keller in der Dammstraße, dem Ku-Klux-Klan, einem V-Mann für das Bundesamt für Verfassungsschutz, Blood & Honour bis zu gewaltbereiten Fußballfans ist so gut wie alles vertreten, was eine angeblich existierende Heilbronner Szene anrüchig machen soll.
Fast könnte man meinen, hier sei die Zentrale des NSU zu verorten gewesen.

Auch den doch sehr seltsamen Umständen einer Serie und in deren Umfeld noch seltsamer gestorbener Zeugen  widmet sich Experte Ullenbruch unter dem Absatz „Der Mythos vom »Zeug*innensterben«“ – selbstverständlich in der Weise, daß die Zweifel an den offiziellen Darstellungen mit dem bewährten Totschlagargument „Verschwörungstheorien“ sakrosankt abgestempelt werden.
Dabei hat er selbst seine Fragen im Zusammenhang mit dem Todesfall F.H., der am Morgen des 16. September 2013 in seinem Auto am Cannstatter Wasen in Stuttgart verbrannte, und schreibt dazu:

„Dabei verweist gerade der Fall F. H. – völlig unabhängig von den geklärten Umständen seines Todes – auf eine noch offene Frage: Wussten Teile der extrem rechten Szene im Land schon vor dem 4. November 2011, dass eine gleichgesinnte Terrorgruppe mordend durch das Land zog? Abwegig ist das nicht.
So spendeten die abgetauchten Neonazis z. B. 2.500 € an die Szenezeitschrift »Der Weisse Wolf«.
Die Schreiberlinge reagierten in einem der nächsten Hefte und erwähnten den NSU damit im Jahr 2002 zum ersten Mal öffentlich: »Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen 😉 Der Kampf geht weiter«.
Die niedersächsische Neonazi-Band »Gigi und die braunen Stadtmusikanten« veröffentlichte bereits im Jahr 2010 das Lied »Döner-Killer«.
Darin hieß es: »Neun mal hat er bisher brutal gekillt, doch die Lust am Töten ist noch nicht gestillt.
Profiler rechnen mit dem nächsten Mord.
Die Frage ist nur wann und in welchem Ort«.
Damit verbunden sind weitere Fragen: Wie groß war das Netzwerk des NSU? Wie wählten und spähten sie ihre Ziele aus?
Und wie gelangten die Adressen potenzieller Opfer auch aus Heilbronn auf die Listen des NSU?
Weder der Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht noch die zahlreichen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern fanden darauf bislang eine Antwort.“

Dafür bekommt auch die Polizei in diesem Pamphlet ihr Fett weg, der Experte Ullenbruch:

Umso schwerer wiegt, dass Teile der Heilbronner Polizei dieses Spektrum in der Vergangenheit offenbar nicht ernst nahmen.
So kritisiert der erste NSU-Untersuchungsausschuss im baden-württembergischen Landtag in seinem Abschlussbericht, dass Beamt*innen des Heilbronner Staatsschutzes »rechtsextremistische Tendenzen in Heilbronn verharmlost haben«.
Von einer »nicht akzeptablen Art der Relativierung rechtsextremistischer Tendenzen« ist einige Zeilen weiter zu lesen.
Unter anderem hatte K. B., der Staatsschutz-Leiter der Heilbronner Kriminalpolizei, über einen Brandanschlag auf ein CDU-Gebäude in Heilbronn im Jahr 2008 berichtet:
»Das waren auch Personen, die – möchte ich mal sagen – mitunter auch rechtes Gedankengut in sich tragen und aus dem Alkoholrausch heraus wohl spontan den Entschluss gefasst haben, dorthin zu gehen, um was anzuzünden«

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