Die Rede des
Vorsitzenden Harald M. Wissmann
Meine Damen und
Herren,
die politische Auseinandersetzung der letzten Monate um die Entscheidung des
Bundes der Vertriebenen, sich in dem 13-köpfigen Stiftungsrat der
Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung" auch durch seine
Präsidentin Erika Steinbach vertreten zu lassen, ist Singular, an
Peinlichkeit schwerlich zu überbieten und unserer Demokratie unwürdig.
Die Bevormundung des Bundes der Vertriebenen ais Opferorganisation verträgt
sich nicht mit den Menschenrechtsanforderungen, die von offizieller
deutscher Seite immer wieder in Richtung anderer Staaten gestellt werden.
„Der Charakter und die Selbstachtung einer Nation zeigen sich darin, wie sie
mit den Opfern der Kriege und mit ihren Toten umgeht." Nimmt man diese
Aussage des Goethepreisträgers Raymond Aron zum Maßstab, so steht es nicht
gut um Deutschland.
Mitgefühl und Respekt für die deutschen Opfer von Flucht, Vertreibung,
Vergewaltigung, Mord Deportation und Zwangsarbeit sind dabei auf der Strecke
geblieben. Erneut auf der Strecke geblieben.
Deswegen gilt auch heute mein besonderer Dank all denen, die sich nicht
damit abfinden, dass das Benennungsrecht des Bundes der Vertrieben für den
Stiftungsrat vorsätzlich unter Kuratel der Politik gestellt wurde, sondern
die sich für das Selbstbestimmungsrecht des Bundes der Vertriebenen
eingesetzt haben und weiterhin einsetzen.
Deutsche Politiker tun sich mit Respekt und Mitgefühl wie gerade ausgeführt
nicht immer leicht. Bis zum heutigen Tage hat noch kein deutscher
Außenminister an den Massengräbern der Opfer von Flucht und Vertreibung auch
nur einen Kranz niedergelegt. Nicht bei den über 2000 Toten in Marienburg,
nicht an den Gräbern der polnischen Lager Lamsdorf oder Potulitz, nicht an
Massengräbern in der Tschechischen Republik oder in Ex-Jugoslawien bei den
11000 deutschen Opfern des Lagers Rudolfsgnad oder den 8500 Toten von Gakowa.
Um nur einige wenige zu nennen. Die Anteilnahme der örtlichen Bevölkerung
dieser Länder ist oft größer und engagierter als die menschliche Anteilnahme
deutscher Politiker. Hier läuft etwas falsch im Staate Deutschland.
Nach meiner Auffassung ist es Aufgabe deutscher Außenminister, auch von
Herrn Westerwelle, hier die Weichen zu stellen, statt Vertrauen bei den
Nachbarländern durch Opfergaben eigener Staatsbürger oder Organisationen zu
erkaufen.
Der lange schwelende Konflikt um die Besetzung eines Beiratsstuhles in der
Stiftung durch den Bund der Vertriebenen ist ein Ergebnis dieser Politik. So
würde man weder mit den Rechten von Kirchen, Gewerkschaften oder anderer
Opferverbände umgehen. Und deshalb werden wir uns das als Bund der
Vertrieben/Vereinigte Landsmannschaften auch nicht gefallen lassen.
Für mich steht fest, dass entgegen alle Beteuerungen, Herr Westerwelle im
Streit um den Beiratssitz unserer Präsidentin Erika Steinbach, zunächst
einmal die Interessen Polens vertritt
Warschau wollte nicht, dass in Deutschland je eine Stätte der Erinnerung an
die Vertreibung von vielen Millionen Deutschen entsteht. Für die Erika
Steinbach zusammen mit dem leider viel zu früh verstorbenen
SPD-Spitzenpolitiker Peter Glotz seit vielen Jahren gekämpft hat. Peter
Glotz können selbst böswillige Menschen nur mit Mühe unterstellen, er sei
ein Revanchist, im übrigen haben sich 150 namhafte Sozialdemokraten in einem
zweispaltigen Inserat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schon 2007 für
ein Zentrum in Berlin ausgesprochen.
Die Befürchtung Polens, von einen solchen „Zentrum gegen Vertreibungen" (der
Plural ist Programm) an den Pranger gestellt zu werden, haben sich nicht
bewahrheitet. Die von Erika Steinbach als Vorläufer organisierte Ausstellung
„Erzwungene Wege" stand, so namhafte Historiker, der Ausstellung „Flucht,
Vertreibung, Integration" im Haus der Geschichte in nichts nach. Eher noch
kam darin das Schicksal der deutschen Vertriebenen zu kurz.
Weil, was natürlich lobenswert ist, Polen in Deutschland viele Freunde und
Freundinnen hat, man andererseits aber den berechtigten Anspruch der
Vertriebenen auf Erinnerung nicht ganz unter den Tisch fallen lassen konnte,
einigte man sich in der Großen Koalition darauf, Frau Steinbachs Projekt in
die Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung" einzubinden.
Von den 13 Sitzen des Stiftungsrates sind drei für den Bund der Vertriebenen
vorgesehen. Beschlüsse bedürfen der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Der
Präsident der Stiftung „Deutsches Historisches Museum", in dem die Stiftung
„Flucht, Vertreibung, Versöhnung" eingegliedert ist, hat zur Sicherheit
sogar noch ein Vetorecht. Erika Steinbach könnte sich despektierlich
ausgedrückt also auf den Kopf stellen und mit den Zehen wackeln. Gegen die
Mehrheit der anderen Mitglieder des Stiftungsrates können die drei
Mitglieder des Bundes der Vertriebenen nichts, aber auch gar nichts
bewirken.
Trotzdem liefen hohe politische Repräsentanten in Polen Amok. In der
Tschechischen Republik erstaunlicherweise nicht. Unter allen Umständen
sollte verhindert werden, dass Erika Steinbach den Stiftungsratssitz
einnehmen konnte. Interessierte Kreise in der SPD, damals Regierungspartei,
liefen übrigens mit.
Der Bund der Vertriebenen ließ, unter Zustimmung der Unionsfraktion im
deutschen Bundestag den Sitz unbesetzt. In der Hoffnung auf einen
Regierungswechsel und damit bessere Zeiten. Das diese mit einer
CDU/CSU/FDP-Koalition kommen würden, erweist sich jetzt als Irrtum.
Der Oppositionsführer Westerwelle hatte sich aus der Diskussion immer fein
herausgehalten. Andere FDP-Politiker, wie unser leider erst kürzlich
verstorbenes Mitglied der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorf, hatten
sich da klar pro Bund der Vertriebenen positioniert. Möglicherweise fehlt
unserem Bundesaußenminister der Rat durch den von ihm verehrter Otto Graf
Lambsdorf.
Nun meint Herr Westerwelle anscheinend, in dieser Angelegenheit nicht nur
die Rolle seines Amtsvorgängers übernehmen, sondern ihn darin auch noch
übertreffen zu müssen. Auch die Argumente, die er zur Erklärung seiner
plötzlichen Rückenversteifung vorbringt, sind bemerkenswert.
Frau Steinbach habe nicht für den deutsch-polnischen Grenzvertrag gestimmt.
Das habe zu nachvollziehbaren Vorbehalten in Polen geführt. So weit so gut.
Dem Vertrag verweigerten 1991 allerdings 23 Abgeordnete der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Zustimmung. Vor allem deshalb, weil
Eigentums- und Vermögensfragen offen geblieben waren. Zudem hatte Erika
Steinbach geltend gemacht: „Man kann nicht für einen Vertrag stimmen, der
einen Teil unserer Heimat abtrennt". Dem Vertrag verweigerte auch
Westerwelles heutiger Kabinettskollege Bundesminister Ramsauer die
Zustimmung. Der müsste, nach der Argumentation von Herrn Westerwelle, dann
wohl die Bundesregierung verlassen. Wie soll ein derart Vorbelasteter mit
Polen über den Grenzverkehr sprechen? Und wie ist es mit all den Politikern,
die vor 20 Jahren gegen die deutsche Einheit waren? Wenn alle Ausschüsse und
Beiräte von ihnen gesäubert wären, würde es in machen Gremien ziemlich leer
aussehen.
In diese Angelegenheit geht es, anders als es Herr Westerwelle offenbar
glaubt, nicht nur um die Versöhnung mit Polen. Manchem Politiker in
Deutschland erscheint diese Aufgabe so groß, dass für andere daneben kein
Platz mehr ist.
Erika Steinbach fand allen Anfeindungen zum Trotz deshalb soviel Zustimmung
im deutschen Volk, weil die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung" auch
und insbesondere der Versöhnung Deutschlands mit seinen Vertrieben dienen
soll. Versöhnung durch die öffentliche Anerkennung eines besonders schweren
Schicksals. Die Bundesstiftung soll ein Zeichen der Empathie sein.
Es wäre ein Skandal und ein Armutszeugnis der zweiten Regierung Merkel wie
auch für den Umgang Deutschlands mit seinen Heimatvertrieben insgesamt, wenn
einer Frau der Stiftungsratssitz verwehrt bliebe, die es ohne ihr
unermüdliches Engagement nicht gäbe. Die Steinbach-Idee war die Keimzelle
der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung", um es einmal klar und
deutlich zu sagen.
Zu den besten Brückenbauern für ein besseres Miteinander der Völker Europas
gehören seit langem die deutschen Heimatvertriebenen. Tausendfach pflegen
sie gute, freundschaftliche Kontakte zu den Menschen, die heute, oftmals
selbst vertrieben, in ihrer alten Heimat leben. Auf dem Rücken der Opfer
Herr Bundesaußenminister lässt sich ein friedliches, gutnachbarschaftliches
Miteinander nicht gewinnen. Das bittere Unrecht, dass Millionen von
Deutschen angetan wurde - einmalig in der Weitgeschichte - wir nicht dadurch
Recht, weil es eine Folge in deutschem Namen begangenen Unrechts ist.
Mehr als einmal hat Erika Steinbach die Vertriebenen als „Opfer von Hitlers
Politik" bezeichnet, der „die Büchse der Pandora geöffnet" habe. Sie hat
sich unmissverständlich von der „Preußischen Treuhand" distanziert. Sie hat
ausdrücklich betont, daß der Bund der Vertriebenen keine Forderungen an
Polen stellt. Sie war es, die die Gleichsetzung von Vertreibung und
Holocaust zurückgewiesen hat und den Völkermord an den Juden als das
gebrandmarkt hat, was er ist: ein singuläres Verbrechen. Wer Erika Steinbach
als Revanchistin bezeichnet, begeht meiner Meinung nach Rufmord. Wer
polnische Kreise, die Erika Steinbach hinter dem russischen
Ministerpräsidenten Putin als für Polen zweitgefährlichsten Politiker
weltweit bezeichnen die Steigbügel hält, der macht sich nicht nur
unglaubwürdig, der ist weltfremd. Eine ostpreußische Großmutter würde zu ihm
wohl sagen: „Guido halte mal deinen Kopf unter kaltes Wasser!"
Wie schön wäre doch die politische Welt in Berlin, wenn der Bund der
Vertriebenen einfach darauf verzichtete, seine Präsidentin in den
Stiftungsbeirat zu entsenden. Die Kanzlerin könnte sagen, der Bund der
Vertriebenen habe aus eigenen Stücken entschieden. Also müsste die Frage
nicht ins Bundeskabinett. Westerwelle könnte sagen, es sei sein Verdienst.
Und Polen könnte sagen, sein eigener Außenminister hätte das auch nicht
besser hinbekommen können
Dummerweise spielt aber der Bund der Vertriebenen das Spiel nicht mit. Er
hält es statt mit Westerwelle lieber mit Willy Brandt. Dieser schrieb den
Schlesiern einmal ins Gästebuch: „Verzicht ist Verrat". Leider kam er später
zu einer anderen Überzeugung!
Der Bund der Vertriebenen wird an der Benennung von Erika Steinbach
festhalten. Darüber hinaus liegt den politisch Verantwortlichen in Berlin
ein Kompromissangebot vor. Das zwingt auch andere Parteien und Politiker
Farbe zu bekennen. Wer den Vertriebenen das Recht abspricht, wie z. B. die
Kirchen selbst zu entscheiden, wen sie in den Stiftungsbeirat schicken, kann
sich künftig alle Heucheleien auf den Heimattreffen des Bundes der
Vertriebenen und seiner Landsmannschaften sparen.
In diesem Zusammenhang hat mich eine Erklärung des
CDU-Bundestagsabgeordneten Karl Lamers nachdenklich gemacht. In n-tv/Politik
war folgenden zu lesen: Traditionell stehe die Union den Vertriebenen nahe.
Aber über die Jahrzehnte hinweg sei es „zu manchen Verkrampfungen gekommen".
So sei den Vertriebenen nie offen gesagt worden, dass sich durch einen
Friedensvertrag in punkto Entschädigung für sie kaum etwas zum Positiven
ändern würde. Lamers verteidigte dieses Hinhalten als historisch „einzige
Möglichkeit, die potentiell Enttäuschten an die Wirklichkeit heranzuführen".
Lamers weiter" „andernfalls hätten wir nämlich bekommen was es zu vermeiden
galt: Desintegration und Revanchismus". Ende des Zitates.
Ich kann nur hoffen, dass sich hier um eine verirrte Einzelmeinung in der
Unionsfraktion handelt. Ich rate den Verantwortlichen in der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion dringend mit Herrn Lamers einmal darüber zu
sprechen, was er da von sich gegeben hat. Wenn er allerdings nur
leichtsinnigerweise das ausgesprochen haben sollte, was in der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion Meinung ist, würde ich das als arglistige
Täuschung über Jahrzehnte hinweg betrachten, ich möchte nicht über die
Folgen nachdenken. Jedenfalls heute noch nicht.
Versöhnung ist ein großes Wort, ich persönliche halte den Anspruch der
Politik Versöhnung zwischen Völkern zu schaffen für einen Irrweg. Versöhnung
ist immer ein individueller Prozess, den man nicht politisch anordnen kann.
Dazu gehört auch die Aufklärung von Tatsachen.
Aufklärung und Versöhnung gehen immer Hand in Hand. Vieles davon bekommt die
Politik gar nicht mit. Es geschieht da wo es hingehört. Irrt
zwischenmenschlichen Bereich. Daraus folgt -Menschen versöhnen sich - nicht
Völker.
Geschichte braucht und hat einen langen Atem. Geschichte wird in
Jahrhunderten geschrieben und nicht in Jahrzehnten. Und allzu oft gilt nach
einem Krieg - der oder die Sieger schreiben die Geschichte.
Über 60 Jahre nach Ende des für alle Beteiligten schrecklichen 2.
Weltkrieges sollten deutsche Außenminister, gleich welcher Partei und
weiches Namens, das diplomatische Geschick verbunden mit menschlichem Gespür
aufbringen, die Interessen des gesamten deutschen Volkes im Ausland zu
vertreten.
Die Mitglieder des Kreisverbandes Heilbronn des Bundes der Vertriebenen und
aller Landsmannschaften werden auch weiterhin ihren Beitrag zur Versöhnung-
und Aufklärung leisten. Dieses Versprechen galt und gilt weiter. |