Schon die Bibel kannte ihre Pharisäer

Nirgends wird mehr gelogen, als über den Gräbern

Am 4. Dezember vor 70 Jahren wurde Alt-Heilbronn zerstört

 

5.12.2014 - Schon die Bibel berichtet in mehrfacher Weise, wie Gott sein Volk bestraft haben soll, wenn es sich ihm als ungehorsam erwiesen hat.

In Bußen und Selbstkasteiungen wollte das Volk dann seinen biblischen Berichterstattern zufolge ihm gegenüber wieder gut machen, was es glaubte, verbrochen zu haben.

Ähnlich verhielt sich das französische Volk nach dem verlorenen Waffengang im Krieg von 1870/71 gegen das darauf gegründete neue Deutsche Kaiserreich.

Sie sahen sich als von Gott für ihre Sünden bestraft und bauten ihm zum Wohlgefallen auf den höchsten Hügel Montmartre in Paris die wunderschöne Basilika Sacré-Cœur.

Unterwürfigkeit und Selbstbeschuldigung nach einem verlorenen Krieg ist also nichts Neues in der Weltgeschichte und so ist das dem nicht unähnliche Verhalten vieler Deutschen nach dem 2. Weltkrieg durchaus nachvollziehbar.

Denn gewiß ist es immer angebracht, über die Fehler der Vergangenheit nachzudenken, in sich zu gehen und vor allen, daraus für die Zukunft zu lernen.

Wenn dieses aber zur heuchlerischen Selbstkasteiung ausartet, mit der man das vermeintliche Fehlverhalten in den eigenen Familien zu Lasten anderer bewältigen will, dann hat das seine Grenzen.

Vor allem, wenn es über das stille Gedenken an eine Tragödie wie dem 4. Dezember 1944 mit einseitigen, alljährlich neu aufgelegten Phrasen hinausgeht.

Vor allem bleibt die Frage ungeklärt, welche Worte dieselben Leute wohl nach einem gewonnenen Krieg gefunden hätten, denn dem Zeitgeist angepaßte Reden gab es schon immer – ob nach 1871, 1914, 1933 oder jetzt noch 70 Jahre nach 1945.

Wurde noch bis kurz vor der Katastrophe der Schutz Gottes für den Endsieg selbst von den Kanzeln gepredigt, so werden heute so gewichtig wirkende Worte vom “Krieg, der von Deutschland ausging” und an jenem 4. Dezember 1944 "zurückgekommen sei" gedrechselt.

Kein Wort ist von den ideologisch geprägten Anklägern darüber zu vernehmen, daß der Kriegsausbruch erst mit Hilfe des “Hitler-Stalin-Paktes” als Bündnis der zwei mächtigsten Diktatoren möglich war und von Rußland genauso ausgegangen ist, wie es von Deutschland als allein Schuldigem heute suggeriert wird.

Kein Wort davon, daß England und Frankreich nur Deutschland den Krieg erklärt hat und nicht auch den am Polen-Krieg beteiligten Sowjets.

Und selbstverständlich auch kein Wort darüber, daß es sich beim Angriff vom 4. Dezember 1944 um keine Heldentat gehandelt hat, sondern um ein Kriegsverbrechen, dem fast 7000 unschuldige Heilbronner Bürger, Kinder, Frauen, Alte zum Opfer fielen und an deren Gräbern heute nur noch geheuchelt wird.

Dafür Selbstbeschuldigung pur, doch so verpackt, als sei man selbst dem Guten entsprungen, um sich als Sachwalter der absoluten Wahrheit darstellen zu können.

Doch die Bomben galten an jenem 4. Dezember nicht – wie in Coventry – dem Industriezentrum, sondern, wie auch beim alliierten Bombenkrieg auf andere Städte, ganz bewußt der Zivilbevölkerung.

Und diese waren nun einmal nicht selbst schuld an dem, was ihnen angetan wurde.

Daß “nirgends mehr als an Gräbern gelogen wird” ist ein bekanntes geflügeltes Wort, die Feigheit aber, nicht die ganze Wahrheit ungeschönt beim Namen zu nennen, ist der weitere dem Zeitgeist und der Anpassungsfähigkeit zu verdankende Punkt.

Wer es dennoch wagt, wird schon vorbeugend in bewährt populistischer Manier als Ewiggestriger von jenen gebrandtmarkt, die garnicht bemerken, wie sehr sie selbst im Ewiggestrigen verharrend daraus den oft politisch opportunen Nutzen ziehen.

Wilhelm Steinhilber dürfte einer der Letzten gewesen sein, der sich nach Blaise Pascals’  “Die Wahrheit muß den Vorrang haben” noch getraut hat, in seinem Buch “Heilbronn – die schwersten Stunden einer Stadt” klar und unverfälscht den 4. Dezember 1944 ohne ideologisch gefärbtem Beiwerk sachlich aufzuarbeiten.

Am Donnerstag, 4. Dezember, hat sich somit der Luftangriff auf Heilbronn zum 70. Mal gejährt.

Rund 1000 Bürger, darunter 400 Schulkinder nahmen diesmal zu diesem runden Jahrestag an diesem traurigen Anlaß teil.

Daß in den vergangenen Jahren die Zahlen der Teilnehmer mehr und mehr bis auf wenige hundert abgenommen hat, ist keineswegs allein auf die immer weniger werdenden Zeitzeugen und deren Nachfahren zurückzuführen.

Auch weil sich bei den traditionellen Gedenkfeiern an den Gräbern auf dem Ehrenfriedhof immer weniger sich diese alljährlich wiederholenden Vorhaltungen anhören wollen, bleiben viele fern.

Ehrliches Gedenken gab es diesmal in vielfältiger Weise auch ohne “hehre Worte” und wer wollte,konnte auch an anderen Stätten seine Verbundenheit mit den Opfern des 4. Dezember 1944 zum Ausdruck bringen.

So gab es unter vielem anderen die elektronische Klanginstallation „stunde O / geh…denken“ von Lothar Heinle in der Ehrenhalle im Rathaus-Innenhof.

Am Abend dann das schon traditionelle Gedenkkonzert des Philharmonischen Chors Heilbronn in der Kilianskirche mit dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms.

Unter der Leitung von Dirigent Ulrich Walddörfer musizierte der Chor gemeinsam mit den Solisten Lydia Zborschil (Sopran) und Ulf Bästlein (Bariton) sowie Mitgliedern des Staatsorchesters Stuttgart.

Zeitzeugen kamen um 18 Uhr in der Nikolaikirche zu Wort, sie berichteten von der Nacht des Angriffs und der Zeit danach.

Musikalischen umrahmt wurde es vom Nikolai-Quartett mit Naoko Yamauchi-Fendich und Agnes Karasek und Werken von Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart.